Zertifizierte Expert*innen im Leerlauf – Wie Brandenburgs Digitalisierung an der Realität vorbeigeht
Im Zuge der bildungspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre ist das Thema „Digitaler Wandel in Schule und Unterricht“ stärker in den Fokus gerückt – zumindest auf dem Papier. Lehrkräfte wurden fortgebildet, Programme initiiert, Stellen geschaffen, Projekte gefördert. In Brandenburg etwa wurde mit großem Aufwand eine Zertifizierung für Lehrkräfte entwickelt, die sie zu Experten für den Digitalen Wandel machen soll. Der Anspruch dahinter: Lehrkräfte qualifizieren, die ihre Kollegien kompetent durch die Transformation schulischer Bildung begleiten.
Ich bin einer dieser zertifizierten Expert*innen. Ich habe Fortbildungen besucht, Konzepte entwickelt, Unterricht digital gedacht – und abgeschlossen mit einer offiziellen Urkunde. Diese aber liegt heute gut abgeheftet in einem Ordner. Und mit ihr auch ein Stück meiner Hoffnung, dass wir in Brandenburg wirklich etwas bewegen könnten. Denn was nützt Expertise, wenn sie nicht genutzt wird?
Statt eingebunden zu werden in konkrete Veränderungsprozesse, stattdessen beratend zur Seite zu stehen oder gar schulübergreifend tätig zu sein, bleibt der Status dieser Zertifizierung weitgehend symbolisch. Es gibt weder systematische Strukturen, noch eine transparente Strategie, wie diese qualifizierten Fachkräfte in die Entwicklung der Brandenburger Bildungslandschaft eingebunden werden könnten oder sollten. Kein Mandat, kein Auftrag, kein klares Ziel. Die so dringend benötigte digitale Schulentwicklung bleibt ein Fleckenteppich, abhängig vom Engagement einzelner Schulleitungen oder der Eigeninitiative der Lehrkräfte selbst. Von einem gesteuerten Wandel keine Spur.
Das LIBRA (ehem. LISUM – das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg) und damit das MBJS, das diese Qualifizierungsprozesse verantwortet, scheint dabei selbst nicht über die Ressourcen oder das Mandat zu verfügen, diese Expert*innen tatsächlich systematisch zu vernetzen, zu koordinieren oder einzusetzen. Das Institut verkommt zum Verwaltungsposten im Haushalt des MBJS, ohne erkennbare Wirksamkeit. Dabei wäre gerade jetzt – angesichts der rasanten Entwicklungen in KI, Bildungstechnologie und digitalen Unterrichtsformen – die Zeit gekommen, auf das vorhandene Wissen zuzugreifen, es zu multiplizieren und schulformübergreifend zu nutzen.
Stattdessen fahren wir durch Brandenburg, werben auf Schulveranstaltungen für den digitalen Wandel, organisieren Mikrofortbildungen im eigenen Kollegium oder unterstützen auf Anfrage einzelne Schulen – ganz ohne offizielle Unterstützung, strukturelle Einbindung oder Honorierung. Diese freiwilligen, oft ehrenamtlichen Initiativen sind Ausdruck von Idealismus. Doch Idealismus allein trägt keine Systemveränderung. Ohne klare politische Steuerung und ohne ernstgemeintes Interesse an Partizipation bleiben auch die besten Fortbildungen ein gut gemeinter Akt der Symbolpolitik.
Der Widerspruch ist offenkundig: Einerseits beklagt die Politik die langsame Digitalisierung der Schulen, andererseits lässt sie gut ausgebildete Lehrkräfte ungenutzt im System versickern. Der Frust wächst. Denn mit jeder neuen Ministerrede, die Digitalisierung als Zukunftsversprechen inszeniert, ohne die Realität in den Schulen zu reflektieren, verkommt der Begriff mehr zur hohlen Phrase.
Was es bräuchte? Einen Strategiewechsel. Eine echte landesweite Koordinierungsstelle, die die zertifizierten Expertinnen systematisch vernetzt, ihre Kompetenzen abruft und sie zu regionalen Impulsgebern macht. Die Etablierung von Schulentwicklungsberaterinnen mit digitalem Schwerpunkt. Einen politischen Rahmen, der Schulen verpflichtet, ihre Digitalisierung nicht nur an Ausstattung zu koppeln, sondern an pädagogische Konzepte. Und vor allem: eine Wertschätzung der Menschen, die bereits qualifiziert sind und bereitstehen, Verantwortung zu übernehmen.
Solange das nicht geschieht, bleibt die schön gedruckte Urkunde genau das: ein Zeugnis der Verschwendung. Nicht nur von Geld, sondern vor allem von Potenzial. Potenzial, das Brandenburg dringend brauchen würde – wenn der digitale Wandel in der Bildung wirklich mehr sein soll als ein Lippenbekenntnis.
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